Tanz in Museen

/

Immer wieder ist Tanz ein attraktives Thema für Museen. Aktuell werden „Tanzwelten“ in der Kunsthalle Bonn noch bis zum 16. Februar 2025 gezeigt. Die Ausstellung „Dance, Dance, Revolution“ – eine Gruppenausstellung, war vom 10.8. bis 13.10. 24 im Kunsthaus Hamburg zu sehen. Das Tanzmuseum im Deutschen Tanzarchiv Köln zeigt wechselnde Ausstellungen.

Tanz in Zeiten des Umbruchs

Während meiner Recherchen, ursprünglich zum Thema „Tanz um den Baum“, bin ich auf Erscheinungsformen von Tanz gestoßen, die in direktem Zusammenhang mit sozialen, politischen ökologischen oder wirtschaftlich Krisen stattgefunden haben. Sie fanden in Zeiten von Umbrüchen statt und haben sich oft als Massenphänome gezeigt. Wir leben heute wieder in einer Zeit des Umbruchs durch den Klimawandel, Kriege und die Verschiebung gesellschaftlicher Strukturen. Deshalb fokussiere ich meine Recherche auch bei meinen Museumsbesuchen auf tänzerische Ereignisse, die sich in Bezug auf ihre Zeit, als kritisch, politisch und als Mittel des Umsturzes und der Veränderung gezeigt haben.

Worte und Sätze in rot sind mit weiterführenden Links unterlegt, die sich durch einen Klick öffnen lassen.


Tanzmuseum im Deutschen Tanzarchiv Köln

Am Freitag, dem 17. Januar 2025 habe ich mich auf den Weg ins Tanzmuseum vom Deutschen Tanzarchiv Köln gemacht. Dort wird die Ausstellung GOLDENE JAHRE – Kölner Tanzträume. Aufbruch in den 1960er Jahren gezeigt. Mit dem Neubau der Kölner Oper sollte ein Tanzensemble nach internationalem Standard aufgebaut werden.

Das Tanzarchiv und das Museum interessieren mich schon seit der Zeit, als ich noch in der Nähe von Köln gelebt habe. Leider habe ich nach meinem Wegzug keine weitere Gelegenheit mehr gehabt, es im damals entstehenden Mediapark zu besuchen. Nun wollte ich sehen, ob es mir hinsichtlich meiner nächsten Recherchen hilfreich sein kann. Telefonische Nachfragen haben mich leider nicht weitergebracht, da vor allem bestimmte Personen und Werke archiviert sind. Ich interessiere mich für die Zeitspanne vom frühen 20. Jahrhundert bis zum 2. Weltkrieg, und untersuche dort eine „Tanzwut“, ein Massenphänomen, das meiner Vermutung nach, den heutigen Gesellschaftstanz hervorgebracht hat. Die Revolution im künstlerischen Tanz in dieser Zeit, die das Ballett erneuert und den Ausdruckstanz hervorgebracht hat, ist gut erforscht und dokumentiert.

Die Architektur des Mediaparks und die Unterbringung dort sind auf jeden Fall sehr beeindruckend.


Tanzwelten in der Bundeskunsthalle Bonn

Mein Hauptgrund für die Reise war der Besuch der Ausstellung Tanzwelten (noch bis zum 16. Februar 2025 und absolut empfehlenswert) in der Bundeskunsthalle Bonn.

Die Ausstellung Tanzwelten zeigt Einblicke in Tänze, Tanzbräuche und -traditionen und Tanzgeschichten aus aller Welt.

Ausstellungsansicht „Tanzwelten“, Bonn, Foto: Mick Vincenz, 2024 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

Ein großartiges Programm begleitet die Ausstellung, u.a. mit Live-Beiträgen zu den gezeigten Tanzthemen. Das partizipative Angebot mit vielen Aufführungen, Workshops und Vorträgen lädt zum Mitmachen ein. Die Website ist sehr informativ und ausführlich gestaltet. Dort findet man auch eine ausführliche Literaturliste zur Ausstellung.

Als ich um kurz nach 12 Uhr die Kunsthalle betrete, ist sie schon gut besucht. Ich habe mir aus dem Begleitprogramm die Veranstaltung um 15 Uhr ausgesucht: Indischer Kathak. Davor nehme ich mir Zeit für die Ausstellung.

Mit Eintritt in den Ausstellungsraum bin ich schon beeindruckt; gleich zu Anfang finde ich handschriftliche Originale der Tanznotationen von Beauchamp aus dem 17. Jahrhundert – sehr beeindruckend, wenn man diese nur als Abbildungen aus dem Internet kennt.

Weiter geht es mit Filmbeiträgen auf Bildschirmen und großflächigen Projektionen an den Wänden, antiken Artefakten, originalen Masken und Tanzkostümen, alles mit erklärenden Texten, Audios- und Filmausschnitten. Zudem moderne Installationen und vieles mehr.

Ausstellungsansicht „Tanzwelten“, Bonn, Foto: Mick Vincenz, 2024 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

Meinen Fokus habe ich auf meine zwei Recherche Schwerpunkte gerichtet: Tanzerscheinungen in Zeiten des Umbruchs und Massenphänomene im Tanz. Ein nicht einfaches Unternehmen bei der Fülle an Information.

Gleich zu Anfang fällt mir das Thema „Gemeinsam tanzen – City Dance“ auf.  Es wurde von der Tänzerin Anna Halprin während der Unruhen in den USA in den 1970-er Jahre entwickelt. Sie verwandelte San Francisco in eine riesige Bühne, auf der mehrere Tausend Menschen friedlich zusammen tanzten. Ihre Arbeit basiert auf dem Verständnis von Tanz als kollektivem, demokratischem Prozess, in dem seine Kraft erfahrbar wird. Über die Jahre realisierte sie dieses friedliche Tanzritual in mehreren amerikanischen Städten. 2016 veranstaltete die Künstlerin Stephanie Thiersch einen City Dance in Köln – über 500 Tänzerinnen und Tänzer, Laien und Profis sowie Künstler*innen der verschiedensten Sparten agieren an mehreren Stellen in der Stadt.

Unter der Überschrift Empowerment werden Tanzwerke und Tanzstile vorgestellt, die auf Befreiung von Unterdrückung und Protest gegen herrschende Systeme getanzt wurden. Die Kraft des Tanzes sollte gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen.

Der Grüne Tisch (1932) von Kurt Jooss ist das erste Ballett, das Stellung gegen Krieg und seine Sinnlosigkeit bezieht. Die Workers Dance League wandte sich in derselben Zeit in New York City an die Arbeiter*innenklasse. Sie wollte gesellschaftliche und damit arbeitsrechtliche Veränderungen durch Tanz herbeiführen.

Die Tänzerin und Choreographin Katherine Dunham wandte sich in den 1930er und 1940er-Jahren mit ihren Aufführungen gegen die Segregation im amerikanischen Alltag. Sie war eine Pionierin der Tanz-Anthropologie und erforschte vor allem die Tanzkulturen der Karibik, von Südamerika und Afrika und gründete die erste Black Modern Dance Company – Alvin Ailey war einer ihrer ersten Tänzer.

Die Tanzstile Hip Hop und House (siehe meinen Text Tanzwut 2.0 und Massenphänomene im Tanz: Loveparade und Acid House) entstanden in den 1970-er Jahren ebenfalls als Ausdruck unterdrückter Gesellschaften.

In Südafrika war der Tanz das Mittel für Revolte und Protest gegen die Apartheid und das Zeichen für Selbstbehauptung der schwarzen Bevölkerung.

Smail Kanouté ist ein Tänzer und Choreograph in Brasilien, der aktuell darüber arbeitet, wie eine Tanzpraxis in einem Umfeld von Gewalt existieren kann. Er entwickelt zusammen mit brasilianischen Tänzer*innen und Künstler*innen den Bala Funk, ein aus dem brasilianischen Hip Hop, Capoeira, Passinho und Voguing inspirierten Stil, der als Protest gegen Gewalt und in Erinnerung an ein Polizeimassaker in den Favelas während eines Tanzevents getanzt wird.

Ein Massenphänomen im Tanz war sicherlich der Tanzmarathon der während der Weltwirtschaftskrise in Amerika verzweifelte und hungrige Menschen für ein Preisgeld von 5000 $ anlockte und sie bis zur Erschöpfung tanzen ließ. Pervertiert als umsatzstarkes Event, wurden Massen angelockt, um dem Spektakel beizuwohnen. Die bald halbkomatösen Paare, die sich über Stunden und Tage über die Tanzfläche schleppten, durften nicht aufhören zu tanzen. Der Weltrekord 1923 lag bei 27 Stunden, ohne Pause. Schon Anfang der zwanziger Jahre hatte es, zunächst in England und Frankreich, Marathon-Tanzwettbewerbe gegeben. Vielleicht ist der Tanzmarathon in der Serie Babylon Berlin ein idealisiertes Zeichen dieser Zeit, in der exzessiv v.a. in Berlin getanzt wurde. Seine pervertierte Seite scheint er in Amerika entwickelt zu haben.

Um 15 Uhr beginnt die Vorstellung von Kathak mit Shivani Karmakar Schürfeld und Tillmann Schürfeld. „Storytelling through Movement and Rhythm“. Shivani gibt einen Einblick in die typische rhythmische Fußarbeit des nordindischen Kathak, die mit Silben memoriert und von der Tabla, dem ursprünglichen Begleitinstrument, gespielt werden. Tillman Schürfeld begleitet Shivani sehr gekonnt auf dem Drumset und verschiedenen anderen einfachen Trommeln.  Sie lässt das Publikum die Bedeutung von 3 Mimiken aus den Navarasas, den neun Emotionen im erzählerischen Aspekt des indischen Tanzes, erraten: Freude, Wut und Erstaunen. Dann ist das Publikum aufgefordert, die Tänzerin mit Klatschen zu begleiten, was sehr viel Spaß macht, vor allem wenn man mit der Tänzerin und dem Perkussionisten gemeinsam die 1 nach dem letzten rhythmischen Pattern trifft. Eine sehr gelungene „Lecture Performance“!

In der Ausstellung sind verschiedene Kathak Kostüme zu sehen und auf der Homepage von Tanzwelten erklärt Shivani mehr zu Kathak.

Es ist schade, dass ich die Ausstellung und das Begleitprogramm nicht öfters besuchen kann! Mein Eindruck ist, dass sie sehr gut angenommen wird. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Wahrnehmung und Rezeption von Tanz. Niederschwellig zugängig, mit sehr vielen Möglichkeiten, tief in die Welt des Tanzes und die Tänze der Welt einzutauchen. Für einige Themen wie z.B. den City Dance, ist es höchste Zeit, dass er wieder und global getanzt wird: Um die Kraft des gemeinsamen Tanzens zu spüren und sich selbst wieder als Teil einer großen Gemeinschaft und der Natur wahrzunehmen. So können wir eine Selbstbehauptung und Resilienz entwickeln, um mit den aktuellen Krisen und Kriegen besser zurecht zu kommen.

Ausstellungsansicht „Tanzwelten“, Bonn, Foto: Mick Vincenz, 2024 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

Dance Dance Revolution im Kunsthaus Hamburg

Die Ausstellung Dance, Dance, Revolution – eine Gruppenausstellung war vom 10.8. bis 13.10. 24 im Kunsthaus Hamburg zu sehen.

Auf Dance Dance Revolution bin ich leider zu spät aufmerksam geworden. Im Kontakt mit dem Kunsthaus wurden mir erklärende Texte zur Verfügung gestellt und die junge ukrainische Künstlerin Anna Potyomkina hat mir ihre Videosammlung Dances at the Dead. Archive (2023, fortlaufend) für diesen Bericht zur Verfügung gestellt.

Dance Dance Revolution thematisiert Tanz als dynamische Form des Protests. Als Medium, um mit der Ohnmacht und Zerrissenheit zwischen Krisen und Kriegen und unserer „relativen Leidfreiheit“ zurecht zu kommen. Ausgelassene Partys, Feste und Raves stehen nur vermeintlich im Widerspruch zu Schmerz, Leid und Tod. Tanz war schon immer gemeinschaftsbildend und befreiend. Die teilnehmenden Künstler*innen „verhandeln Tanz, Rhythmus und Sound als kollektiven Akt des Widerstandes“ gegen den russischen Angriffskrieg.

In der Gruppenausstellung ist mir vor allem die Arbeit der jungen ukrainischen Künstlerin Anna Potyomkina aufgefallen. Sie widmet ihre Tanzvideos „Dances at the Dead“ dem verstorbenen Freund Yura Stetsyk, der im Dezember 22 im Krieg in der Ukraine getötet wurde. Sie waren am Tanzen, als sie die Nachricht von seinem Tod erreichte, und haben einfach weiter getanzt. Sie hat ihre tanzenden Freunde und Freundinnen in der Folgezeit beim Tanzen und Feiern gefilmt.  Anna fragt sich dabei, welchen Tanz sie da tanzen und erinnert sich an ein Bestattungsritual der Huzulen in der Ukraine, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts bei „Feiern für die Toten“ exzessiv getanzt haben. Anna arbeitet mit den Themen kollektives und persönliches Gedächtnis, das sich im Körper manifestiert und dort verbleibt.

Die Videosammlung von Anna Potyomkina öffnet sich beim Klick auf das Bild.

Mein Eindruck, dass Tanz in Zeiten des Umbruchs immer eine Kraft ist, die wirkt, verfestigt sich.

Beide Ausstellungen präsentieren Tanz als das ursprüngliche, in den Menschen verwurzelte Bedürfnis, sich künstlerisch auszudrücken und Gemeinschaften zu bilden. Er ist wesentlicher Bestandteil unseres Seins; global und seit der Frühzeit, als Spiegel der Zeit, sozial, politisch und künstlerisch.

Darum interessiert es mich besonders, wie wir mit Tanz auf die heutigen Krisen und Kriege reagieren.


Hi, ich bin Seraina

Mein künstlerischer Schwerpunkt liegt auf der Tanzimprovisation und der Interaktion mit anderen Kunstformen. Mein Anliegen ist der Dialog mit Tanz durch künstlerische und pädagogische Projekte.